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Die ?Reflexionsgruppe Horizont 2020-2030? hat am gestrigen Samstag dem Präsidenten des Europäischen Rats, Herman Van Rompuy, in Brüssel ihren Abschlussbericht übergeben. Das Gremium erstellte in den vergangenen 18 Monaten eine Analyse zur Zukunft der EU. Stuttgarts Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster wurde auf Vorschlag von Bundeskanzlerin Angela Merkel als Vertreter Deutschlands und Experte für Kommunalpolitik in den so genannten ?Rat der Weisen? entsandt.
Die Ergebnisse des Berichts seien ?weder für die Union noch für ihre Bürger beruhigend?. Als Kernfragen nennt der Text: ?Wird es der EU gelingen, ihren Wohlstand in dieser Welt, die sich im steten Wandel befindet, zu erhalten und zu mehren? Wird sie in der Lage sein, die Werte und Interessen Europas zur Geltung zu bringen und zu verteidigen?? Aktuelle und künftige Herausforderungen könnten nur bewältigt werden, ?wenn wir alle ? Politiker wie Bürger, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer ? in der Lage sind, im Interesse eines neuen gemeinsamen Ziels, das von den Erfordernissen der Gegenwart bestimmt wird, an einem Strang zu ziehen.?
?Politische Führung? statt ?Protektionismus?
Der Bericht warnt aber vor ?Protektionismus? oder einer ??nderung der Verträge?. Die Autoren verlangen eine starke politische Führung, die sich durch ?einen ehrlichen und fruchtbaren Dialog mit den Bürgern? auszeichne: ?Mit Unterstützung der Bürger Europas kann die EU bei der Bewältigung der gro?en globalen Herausforderungen eine Führungsrolle übernehmen. Konfrontiert mit einer Krise, die sie nicht verursacht haben, werden unsere Bürger nur dann wieder an das europäische Projekt glauben, wenn ihre führenden Politiker ihnen ehrlich sagen, wie gro? die Probleme sind, die bewältigt werden müssen, und wenn sie zu Anstrengungen aufgerufen werden, die denen vergleichbar sind, die Europa nach dem Zweiten Weltkrieg Wohlstand gebracht haben.?
Der Bericht regt unter anderem an eine ?Reform der Finanzinstitute?, die Wahrnehmung des Humankapitals als ?entscheidendes strategisches Instrument für den Erfolg in der Weltwirtschaft? sowie die ?Fertigung und Vollendung des Binnenmarkts? in Verbindung mit einer ?engeren Koordinierung der Steuerpolitik?.
OB Schuster bilanziert: ?Europa steht erneut an einem Wendepunkt. Viele fragen sich zu Recht, wie es weitergehen kann. Dazu liefert dieser Bericht wichtige Impulse, denn es war unsere Aufgabe, über den Tellerrand hinaus zu blicken. Unsere Ergebnisse sind bewusst keine politische ?Science Fiction?. Sie geben ganz konkrete Anregungen, wie Europa in den nächsten Jahren bestehen kann.? Und weiter: ?Wichtig ist mir, dass es jetzt einen Ruck in Richtung stärkerer wirtschafts- und finanzpolitischer Koordination in der EU gibt.?
Kommunen und Bürger zu ?Beteiligten? machen
OB Schuster sieht in der gegenwärtigen Krise auch eine gro?e Chance: ?Nun gilt es, die bürokratische Kultur in Europa zu ändern. Es geht darum, Kommunen und Bürger von Betroffenen zu Beteiligten zu machen. Manche bisherige europäische Strategie oder Verordnung war von oben herab erlassen, ohne dass auf ihre Verankerung und Möglichkeiten der Umsetzung geachtet wurde. Der Reformvertrag von Lissabon eröffnet uns mehr Chancen, Aufgaben gemeinsam anzupacken, z.B. bei der Energieversorgung, dem Klimaschutz, dem demografischen Wandel, der Forschung sowie der Migration und der Integration. Dazu bedarf es in Europa eines Regierungsmodells, das weniger auf Hierarchie und Bürokratie sondern stärker auf Partnerschaft und Beteiligung beruht: Jeder leistet auf seiner politischen Ebene einen aufgabenbezogenen Beitrag mittels vertraglich vereinbarten Netzwerke.?
?Regieren in Partnerschaft?: politisches Modell für Europa
Grundlage des politischen Modells ?Regieren in Partnerschaft? sind gemeinsam beschlossene Regeln, Vorschriften und Institutionen. Gehandelt wird im Rahmen von vertraglich vereinbarten Netzwerken, die die europäische, nationale, regionale und lokale Ebene und auch den privaten Sektor aufgabenbezogen einschlie?en. Dabei sollen die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismä?igkeit verwirklicht werden, basierend auf Aufgabenteilung, Partnerschaft und Partizipation aller politischen Ebenen. Hierbei können und sollen die Bürger besser beteiligt werden, um so eine bessere Identifikation mit der Europäischen Union zu erreichen.
Diese Vorstellung verwirklichen bereits beispielsweise Stuttgarter Initiativen, in denen sich zahlreiche Städte und Bürger engagieren:
Bei ?Cities for Children? erarbeiten europäische Städte im Austausch anhand guter Beispiele Projekte und Strategien, die Kindern und Familien das Leben in Städten erleichtern. Mittlerweile gehören dem Netzwerk 61 Städte aus 30 Ländern an. Unterstützt wird dies vom Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE), dem Ausschuss der Regionen (AdR) und vom Europarat.
?Cities for Local Integration Policy (CLIP)? ist das Europäische Städtenetzwerk zur Integrationspolitik, an dem 35 Städte aus 22 Ländern partizipieren. Zu den Zielen gehören die Analyse innovativer Strategien und der Erfahrungsaustausch zwischen den Städten und fünf europäischen Universitäten. Die EU-Kommission ist Förderer des Netzwerks.
OB Schuster: ?Dieses kommunale Engagement vernetzt Kommunen, NROs, Sport- und Kulturorganisationen in verschiedenen Ländern, sichert die Zukunftsfähigkeit unsere Städte und ist europäisches Handeln der Bürger.?
Hintergrund: Reflexionsgruppe Horizont 2020/2030
Neben dem Vorsitzenden Felipe González Márquez, ehemaliger spanischer Ministerpräsident, und den beiden Vizevorsitzenden Vaira Vike-Freiberga, ehemalige Präsidentin Lettlands, und Jorma Ollila, früherer Vorstandschef von Nokia, hatten die Staats- und Regierungschefs 2008 neun weitere Mitglieder benannt: den niederländische Architekt Rem Koolhaas, Richard Lambert, Generaldirektor des Britischen Industrieverbands, den ehemaligen EU-Kommissar Mario Monti aus Italien, den ehemalige polnische Präsidenten Lech Walesa, die Französin Nicole Notat, Präsidentin des Verwaltungsrats der Unternehmensberatung Vigeo, den in Wien lehrenden Professor für Bevölkerungswissenschaft, Rainer Münz, sowie Kalypso Aude Nicolaidis, Professorin für Internationale Beziehungen aus Oxford. Lykke Friis wurde zwischenzeitlich dänische Umweltministerin.
Die Staats- und Regierungschefs werden sich bei ihrem Gipfeltreffen im Juni mit dem Bericht auseinandersetzen. Die ehrenamtlichen Mitglieder der Reflexionsgruppe trafen sich seit Dezember 2008 16-mal in Brüssel. Für die Illustration und graphische Aufbereitung des Textes zeichneten Mitarbeiter der Landeshauptstadt Stuttgart verantwortlich. Ein Expertenkreis aus Wissenschaft, Politik und der Stadtverwaltung hatte den Stuttgarter Oberbürgermeister für die Sitzungen inhaltlich vorbereitet.
Hintergrund: Dr. Wolfgang Schuster
Dr. Wolfgang Schuster ist seit Januar 1997 Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart. Er ist zudem
- Stv. Präsident des Deutschen Städtetags
- Mitglied im Kongress der Gemeinden und Regionen Europas des Europarats (KGRE)
- Präsident des Rats der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE), Deutsche Sektion,
- Vize-Präsident des Rats der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE)
- Vize-Präsident und Vorsitzender der Europäischen Sektion des kommunalen Weltverbandes ?United Cities and Local Governments? (UCLG)
- Vorsitzender der UCLG-Kommission für urbane Mobilität
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